trotz aller Schwere

… trotz aller Schwere

Vergessen und Erinnern Raum geben
Ausstellung und Veranstaltungsreihe in St. Mauritius, Wiesbaden 2020

75 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges wirken traumatische Belastungen in den Menschen über Generationen hinweg weiter und erfahren traurige Aktualität durch die bei uns lebenden Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien und anderen Kriegsschauplätzen unserer Welt.

Die von Claudia Merx verarbeiteten empfindlichen textilen Werkstoffe ermöglichen auf äußerst feinfühlige Weise eine künstlerische Visualisierung dieser für die menschliche Seele existentiellen Erlebnisse. In ihrem Projekt „long burning“ verarbeitet die Künstlerin den Themenkomplex „Nachwirkungen von Kriegs-, Flucht- und Gewalterfahrungen“.

Eine in diese Werkgruppe gehörende mehrteilige Installation aus Kissenobjekten aus Verbandsmull ist übertitelt mit dem Wortpaar „Nacht Macht“. In eindrücklicher Weise gelingt es diesen von Claudia Merx gestalteten Kissenkörpern zum Resonanzraum für das menschliche Empfinden zu werden, verkörpern sie doch einerseits in ihrer einladenden Weichheit und atmenden Plastizität auf einen ersten Blick erholsamen Schlaf und zeigen doch zugleich in ihrer offensichtlichen Versehrtheit Spuren menschlichen Leids und damit die dunkle Seite des Lebens, die Tiefe der Nacht.

Eine zweite Werkgruppe wird von der Künstlerin „Das Gedächtnis“ genannt: An Stahldrähten aufgehängte leere Kissenhüllen lassen die Besuchenden in die Vergangenheit eintauchen. Gewaschen, gemangelt, tragen die Wäschestücke doch in sich ein Faltengedächtnis, das sich dem Linnen durch die Zeiten eingegraben hat.

Behutsam verknüpfen eine zarte Zeichensprache und Ziffernfolgen jedes einzelne der Kopfkissenbezüge mit einer anderen zeitlichen Konkretion. Claudia Merx kreiert mit dieser Installation ein eigenes Raumzeitkontinuum, das Erinnerung ermöglichen kann. Dadurch dass die textilen Träger die Besuchenden in Kopfhöhe vollständig umfangen und die bewusst gewählte räumliche Enge der Präsentation immer nur die Begehung der Installation durch Einzelne ermöglicht, schafft diese künstlerische Arbeit von Claudia Merx einen besonderen stillen Schutzraum, der zu einem Erinnerungsraum werden kann. Entleert der Fülle des Lebens, konzentriert sich in und zwischen diesen Leinenbezügen der Eindruck der prägenden Ereignisse des gewesenen menschlichen Seins.

Dr. Susanne Husemann, Wiesbaden 2020

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